Wetterfrosch an Bord

Erinnerungen eines Wetterfrosches

Es war an der Universität Hamburg meine Pflicht, während des Geographiestudiums ein Praktikum zu absolvieren und da geriet im April 1962 das Amt für Hydrogaphie in meinen Blick. Es bot nämlich Studenten einen Job als „Wetterfrosch“ auf dem Feuerschiff ELBE 1 an, den ich gerne ergattert hätte. Und es klappte!

Das Abenteuer begann bereits am Vorabend meines Dienstantrittes an Bord des alten Tonnenlegers „Neuwerk“, wo man mir eine urtümliche Koje zuwies und mich mit Essen versorgte.

Am nächsten Morgen steuerten wir dann zunächst die Feuerschiffe Elbe 2 und Elbe 3 an, um sie mit dringend benötigten Gütern zu versorgen. Zu meinem Erstaunen blieb ich nicht der einzige Passagier. Es war offensichtlich üblich, dass man Leute mitnahm, die auf See zollfrei Alkoholika und Butter einkaufen wollten und dann zurück nach Cuxhaven fuhren. Ich dagegen musste mich an Bord meines zukünftigen Arbeitsplatzes auf Elbe 1 begeben und kletterte in Abwägung des heftigen Wellenganges nach bewegter Fahrt gespannt wie ein Flitzebogen an Bord des knallroten Feuerschiffes.

Es lag fest verankert in der Elbmündung und diente den hereinkommenden Schiffen als Orientierungspunkt.

4 Wochen lang sollte ich nun stündlich innerhalb eines festgelegten 12-Stunden-Rhythmus die meteorologischen Daten ermitteln und weiterleiten. 10 Werte waren dabei festzuhalten.

Untergebracht war ich unter Deck in einer engen Koje und gewöhnte mich schnell an das Schaukeln des Schiffes, das man beim Gehen ausgleichen musste. Als ich nach 4 Wochen wieder festes Land unter den Füßen hatte, blieb mir noch lange das schwankende Gefühl in den Beinen erhalten.

Technisch war ELBE 1 aus heutiger Sicht schlecht ausgestattet, hatten wir doch nicht einmal ein Radarsystem an Bord. Folglich kam es bei Nebel immer wieder zu Kollisionen mit anderen Schiffen. Zweimal wurden wir während meines Aufenthaltes gerammt. In ersten Fall schrammte unser Klüwerbaum an der Außenhaut des norwegischen Tankers entlang und brachte das ganze Schiff so zum Vibrieren, dass unsere Antennenanlage peitschenartig auf das Oberdeck knallte.

Die nächste Attacke kam von einem Fischtrawler. Die Besatzung , die schon zum zweiten Mal das Feuerschiff „übersehen“ hatte, musste prompt mit einer doppelten Menge Rotbarsch aus der Ladung für die erneute Rempelei “bezahlen”. Der „Lösegeld-Fisch“ wurde auf dem Feuerschiff gleich filetiert und an Land geschickt zu  den Familien der Seeleute, die mit Kisten und Kästen bereits fahrbereit auf die „Ware“ warteten und sich um den Fang kümmerten. Mir wurde klar: da war ein eingespieltes, humorvolles Team am Werk.

Diese Ereignisse waren nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Ein Vorgänger des Feuerschiffes war 1936 in einem Sturm mit Mann und Maus gesunken und lag unter unserem Schiff, eine ständige Mahnung, was passieren konnte.

Als Neuling fiel ich zunächst natürlich aus dem Rahmen: Als ich gemütlich beim Mittagessen saß, erschienen draußen vor den Bullaugen der Messe immer wieder feixende Gesichter, die mich beobachteten und lachten. Was war denn so komisch? Erst später begriff ich: Die Mannschaft lachte sich kaputt, weil ich meine Hühnerschenkel mit Messer und Gabel aß. So ein versnobtes Getue war nicht Seemanns-like… 

Ein besonderes Kapitel waren auch die Zugvögel, die von unserem Leuchtfeuer angelockt wurden und unser Schiff als Zwischenstation auf ihren weiten Flügen über Kontinente benutzten. Oft brachen sie aber auch erschöpft zusammen und wir mussten am Morgen Unmengen von toten Tierleibern von Bord fegen. Die kräftigen Vögel dagegen nutzten das Deck wie Tramper und flogen irgendwann erholt weiter.

Auch für eine Segelyacht wurden wir zum rettenden Landeplatz. Die Besatzung hatte bei nebligem Wetter auf dem Weg nach Helgoland die Orientierung verloren und ergriff dankbar die Leine, die man ihr vom Feuerschiff aus zuwarf. Unmöglich für die Segler, zu uns an Bord zu kommen, sie waren zu erschöpft und ließen sich dankbar mit Getränken versorgen.

Ich gewöhnte mich bald an die Abläufe an Bord und genoss die kameradschaftliche Atmosphäre. Koch Erwin versorgte uns mit Essen, das improvisiert, aber gut war. Für Unterhaltung sorgten die vorüberziehenden Schiffe wie die z.B. Hanseatic. Einige Seeleute knüpften Teppiche, bauten Elbe 1 -Modelle oder fischten das Treibholz aus dem Wasser, das die Tideströmen von Weser und Elbe abwechselnd mit sich führten. Dabei wurden Mengen hochgehievt, die mit Leichtigkeit ein Rettungsboot füllten. Der Tonnenleger holte das gebündelte Holz ab und es wiederholte sich ein ähnlicher Ablauf wie beim Fischfang.

Einen dramatischen Zwischenfall verursachte eines Tages die Erkrankung eines Crewmitgliedes. Ich fand den Mann auf der Brücke schmerzgekrümmt am Boden liegend. Sein Blinddarm war entzündet, wie wir später erfuhren. Sofort wurde die Seenotrettungsstelle Cuxhaven angerufen und der Seenotrettungskreuzer Ruhrstahl eilte herbei. Der Wellengang war enorm und es musste ein Gleichklang zwischen den beiden Schiffen abgepasst werden. Auf dem Vordeck des Rettungskreuzers lagen zwei Männer, die sich mit einer Hand festhielten und versuchten, den Erkrankten mit der freien Hand im richtigen Moment zu übernehmen. Er wurde sicher unter Deck gebracht. Nach wenigen Stunden erhielten wir die Nachricht von der erfolgreichen Operation. Bravo!

Alle 14 Tage wechselte die Besatzung (etwa 16 Mann) sich ab und die Rückkehrer erzählten von ihrer Zeit an Land. Manche waren froh, wieder auf dem Feuerschiff zu sein… Ich denke gerne an diese spannende Zeit zurück und habe mir die Liebe zur Seefahrt erhalten.

Herzlichen Dank dafür und viele Grüße an die Feuerschiff Elbe 1 – Crew.

Wolfgang Schoen, 7.9.2021

Groß Flottbeker Straße 41a

22607 Hamburg

E-Mail: beate_schoen@yahoo.de